Gastbeitrag im Newslleter "Ping!" der Looping Group
"Was kommt auf Social Media nach den Likes?"
Vor acht Jahren habe ich das erste Mal als Social-Media-Redakteurin gearbeitet. Damals war Facebook die mit Abstand wichtigste Plattform, die Piraten bei der Bundestagswahl die Partei mit den meisten Fans, bei Instagram konnte man nur Fotos hochladen und mein Diensthandy war ein iPhone 4. Es gab noch keine ausgeklügelte Strategie, was man als Medienmarke in diesem Web 2.0 genau machen wollte. Es reichte völlig, erstmal da zu sein. Da, wo alle sind.
Wenige Jahre später sind die Newsfeeds durchprofessionalisiert. Erfahrene Social-Media-ManagerInnen „generieren High-Quality-Content“, wie es im Marketingsprech heißt, um die User innerhalb weniger Sekunden „maximal zu catchen“ und mit „aktivierenden Leads in den Sales Funnel zu pushen“. Doch die NutzerInnen sind müde geworden von all den lärmenden Inhalten, die ihnen beim Scrollen durch ihre Newsfeeds entgegenspringen. Wir leben im kompletten Informations-Overload. Die Menschen ziehen sich verstärkt zurück in geschlossene Gruppen und Messengerdienste oder nutzen Formate mit völlig anderen Funktionslogiken wie Insta Stories. Facebook zog vor zwei Jahren die Konsequenzen: Die Reichweite von offiziellen Fanpages wurde reduziert, Postings von „echten“ Menschen werden seitdem bevorzugt, Click-, Tag- oder Sharebaits abgestraft und „meaningful interactions“ gefördert.
Weniger Snacks, weniger Algorithmus
Was aber ist der relevante Impact für die (digitale) Kommunikation eines Unternehmens, einer Marke – oder eben einer Partei wie der SPD? Aus meiner Sicht hat es wenig mit der maximalen Reichweite zu tun. Was bringen uns Shares, wenn sie von den falschen Leuten kommen? Was nutzen uns Views, von denen man gar nicht so genau weiß, wie sie gezählt werden? Was haben wir von Likes, wenn die Menschen den Artikel nicht mal gelesenhaben? Wir wollen niemandem abstrakte Reichweiten verkaufen. Politik sollte Menschen überzeugen und begeistern. Außerdem halte ich es in Zeiten wie heute für entscheidend, dass Menschen besser verstehen, warum bestimmte politische Entscheidungen getroffen werden. Das, was am Ende zählt, sind nicht die Likes. Das, was am Ende zählt, sind Vertrauen, Transparenz und Überzeugung.
Doch wenn Menschen öffentlich weniger teilen, wenn sie übersättigt sind von flippig designten Sharepics und snackable Content-Pieces, wenn sie sich mehr direkten Austausch wünschen – welche Plattform könnte sich am besten dafür eignen? Mein Team im Berliner Willy-Brandt-Haus und ich haben es einfach mal mit Telegram versucht. WhatsApp hatte bereits im Dezember 2019 das Versenden von Newslettern verboten. Der beliebteste aller Messengerdienste war damit zwar passé und doch reizte mich die Unmittelbarkeit, AbonnentInnen mit einer Direct Message zu erreichen: Man konkurriert nicht in einem Feed mit anderen Inhalten, man ist keiner undurchsichtigen Logik eines Algorithmus unterworfen und ein Inhalt wird nicht öffentlich sichtbar durch Likes oder Shares bewertet. Im Idealfall haben die NutzerInnen Push-Benachrichtigungen eingestellt und jede Nachricht landet sofort im Lockscreen. Im allgegenwärtigen Aufmerksamkeitsgetöse der vielleicht direkteste Weg, einen Inhalt zu platzieren.
Es gibt für mich vier spannende Erkenntnisse, von denen ich glaube, dass sie im Kern übertragbar sind für Publisher verschiedener Bereiche. |
1. Anbieten statt senden
Wir Publisher haben uns in den vergangenen Jahren vor allem darauf konzentriert, unsere Reichweiten zu optimieren oder die NutzerInnen mit donnernden Call-to-Actions auf Webseiten, Onlineshops oder Mitgliedsformulare zu schicken. Wir kennen alle Tricks, um die Aufmerksamkeit der NutzerInnen zu erreichen. Vielleicht haben wir dabei verlernt uns zu fragen, was die Menschen wirklich interessiert – wie man ihre Aufmerksamkeit ganz ohne Trickserei gewinnen kann. Im Messenger bietet es sich an, genau das auszuprobieren. Statt einfach zu senden, fragen wir die UserInnen, ob sie das überhaupt wissen wollen. Das bedeutet: Wir bieten ein Thema nur an und bitten die NutzerInnen um eine Reaktion, bevor wir den Inhalt rausschicken.
Dieses Vorgehen hat verschiedene Vorteile: Man merkt sehr schnell, an welchen Themen die Menschen besonders interessiert sind. Likes oder Shares bedeuten nämlich nicht zwingend, dass sich jemand wirklich mit dem Thema beschäftigen will. Wir wissen, dass Menschen häufig mit einem Post in den sozialen Netzwerken interagieren, ohne den dahinterliegenden Inhalt konsumiert zu haben. Vielleicht gibt es auch in den Netzwerken einen Effekt, wie wir ihn aus der Marktforschung kennen: Ist ein Produkt zu billig, zweifelt man an seinem Wert. Deshalb bitten wir unsere NutzerInnen um eine Reaktion. Die Idee dahinter: Der Inhalt hat einen Preis. Die AbonnentInnen investieren etwas – in diesem Fall Zeit und eine Nachricht. Wir wissen nämlich auch: Ein Invest erhöht die Bereitschaft, sich mit dem Produkt auseinanderzusetzen. Mein bisheriges Fazit: Wir lernen mehr über die Interessen unserer UserInnen. Sie beschäftigen sich intensiver mit dem Inhalt. Die Conversionrate ist höher als auf jeder anderen Plattform, sogar die absoluten Zahlen übersteigen im Messenger häufig die von Facebook, obwohl wir dort zehnmal so viele Fans haben.
Natürlich bietet sich nicht für jeden Publisher der Messenger als Verbreitungskanal an. Die Frage, wie man einem Inhalt mehr Wert verleiht und welche Art Invest man von seinen NutzerInnen verlangen könnte, sollte sich dennoch jeder Publisher stellen. Ich glaube, wenn man es im täglichen Newsgepolter schafft, dass sich jemand bewusst für einen Inhalt entscheidet, bedeutet das Impact.
2. NutzerInnen aktivieren
Zu den großen Aufgaben in der Parteiarbeit gehört es, die eigenen Leuten zu motivieren, sich für die Partei einzusetzen. Aber wie bringt man Menschen im Netz dazu, mit eigenen Worten eine Botschaft zu verbreiten? Bietet man ihnen einen glossy Post über den eigenen Kanal, dann teilen ihn viele Menschen, klar. Die Reichweite liegt dann aber auf einem einzelnen Post – noch dazu mit offiziellem Absender.
Anders läuft die Verbreitung, wenn man beispielsweise ein Sharepic im Messenger verschickt und die Community darum bittet, es auf den eigenen Kanälen zu teilen. Es gibt keine andere Möglichkeit, als die Kachel auf dem Handy abzuspeichern, bevor man sie auf einem anderen Kanal wieder hochlädt. Das schafft eine höhere Bindung zum Inhalt – weil man selbst als Absender oder Absenderin dafür „haftet“. Das führt dazu, dass Menschen sich bemühen, die Botschaft bestmöglich in eigenen Worten zu formulieren.
Am Ende gibt es nicht ein einzelnes Posting mit hoher Reichweite. Es entstehen viele kleine Beiträge von Menschen, die sich persönlich für eine Botschaft einsetzen. Sie verteilt sich in die Breite statt in die Spitze. Das ist persönlicher, überzeugender, diverser und öffnet Diskussionen mit neuen Zielgruppen.
3. In den Dialog mit der Community treten
Die Zeit des Sendens ist vorbei. Die Kommunikationskanäle haben sich in alle Richtungen geöffnet und die Menschen erwarten (völlig zu Recht), dass man mit ihnen redet. Dank der digitalen Dynamiken sind die BürgerInnen lauter und unbequemer als je zuvor.
Ist das eine schlechte Nachricht? Nein. Es gehört zu den schwierigsten und wunderbarsten Aufgaben, nicht nur in der Politik, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Eine gewaltige Aufgabe, die heutzutage in Echtzeit und unter maximaler Beobachtung zu bewältigen ist. Vielleicht bringt das nicht immer nur Vorteile. Und doch war es niemals leichter, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
Digital waren wir viel zu lange davon überzeugt, es würde reichen, den Menschen etwas vorzusetzen. Das gilt für die Politik, den Journalismus und auch für Unternehmen. Die zunächst auf allen Kanälen kontinuierlich steigenden Reichweiten bestärkten uns. Dem ist jedoch nicht so. Man muss in einen echten Dialog mit den Menschen treten. Ihnen eine Stimme geben, sie in den Mittelpunkt der eigenen Geschichten stellen. Es geht darum, besser zuzuhören und das Gehörte ernst zu nehmen. Das passiert in der analogen Welt seit Jahren und Jahrzehnten. Nur digital finden wir diesen Beteiligungsanspruch eher lästig und stellen eine weitere studentische Aushilfskraft ein, um das beruhigende Gefühl der Kontrolle zu spüren, wenn die Blacklist wieder auf dem neuesten Stand ist. Echtes Community Management bedeutet etwas anderes. Schritt für Schritt versuchen mein Team und ich Formate mit den Menschen zu entwickeln, nicht nur für die Menschen. Statt Zitatkacheln hochrangiger PolitikerInnen senden wir Bürgersprechstunden auf YouTube, bei denen die Zuschauer live Fragen stellen können. Statt Statementvideos müssen die Parteivorsitzenden die Fragen der Community als Sprachnachricht beantworten und natürlich richten wir das Spotlight auch mal auf die Menschen im Maschinenraum des Politikbetriebs oder erzählen die schönsten Geschichten der GenossInnen selbst.
4. Schwarmintelligenz nutzen
Ich glaube, man kann ganz wunderbar ein Land regieren, eine Redaktion leiten oder ein Unternehmen führen, ohne einen einzigen Social-Media-Account zu bedienen. Man kann all das aber nicht tun, wenn man keine Ahnung hat, was im digitalen Raum passiert. Das Netz beeinflusst die Art und Weise, wie wir konsumieren, was wir wahrnehmen, was wir glauben, wem wir vertrauen, was wir kaufen, wen wir wählen, wie wir leben.
Viele gesellschaftspolitisch relevante Entwicklungen entstehen inzwischen im Netz. Seit wenigen Jahren verlagern sie sich aber zunehmend in geschlossene digitale Räume, zu denen wir, die Publisher aus Politik, Journalismus oder Wirtschaft, den Zugang verloren haben. Wir merken es erst, wenn der Protest oder die Bewegung auf der Straße landen. Dazu hatte ich ein Aha-Erlebnis im Europawahlkampf 2019: GenossInnen schickten uns regelmäßig halbwahre Behauptungen zu, die sie irgendwo aufgeschnappt hatten, und baten uns um Einschätzung. Oftmals waren es erste Hinweise auf größere Desinformationskampagnen, die erst Wochen später in der breiten Öffentlichkeit ankamen. Hervorragend, dachte ich. Wenn die Leute uns solche Dinge freiwillig zuschicken – wie wäre es, wenn man die Schwarmintelligenz der Basis gezielter abfragen würde? Deshalb haben wir den FaktenFunk ins Leben gerufen. Wir debunken rechte Verschwörungstheorien oder halbwahre Behauptungen, die vor allem von der AfD gestreut werden. Im Messenger verschicken wir Fakten und Einordnungen auf einen Blick, auf der begleitenden Website hinterlegen wir sämtliche Quellen und erklären, mit welcher Strategie die AfD bestimmte Dinge behauptet. Gleichzeitig öffnen wir den Rückkanal: Wir bitten die Community, uns verdächtige Informationen weiterzuleiten, egal, ob sie ihnen analog oder digital begegnen. So haben wir unsere Ohren überall und bekommen im besten Fall schneller mit, wohin sich eine gesellschaftliche Debatte eventuell dreht. Und wir können Inhalte produzieren, von denen wir ganz sicher sind, dass die Menschen sie wirklich haben wollen.
Die Idee, die Schwarmintelligenz einer Community zu nutzen, beschränkt sich natürlich weder auf Parteiarbeit noch auf den Messenger. Es geht um die große Frage: Worüber spricht das Volk? Die berühmte Straße, auf die man früher hinaustreten musste, um zu erfahren, was die Menschen bewegt – es gibt sie auch im Netz. Aber kein Team und auch kein Tool dieser Welt kann überall hinhören. Um einen realistischen Eindruck davon zu bekommen, was in den dunklen Gassen des Internets gemunkelt und gemurmelt wird, braucht man BotschafterInnen. Und das gehört zu den wunderbaren Möglichkeiten einer digital vernetzten Welt: Wenn man – egal wie, egal wo – eine Community aufbaut, hat man überall seine Gesandten, die die Ohren offenhalten. Als Publisher erfährt man so in Echtzeit, welche Welle gerade möglicherweise auf einen zurollt, und kann seine Chancen ausloten, noch vor eben diese zu gelangen.
Fazit
Mein Fazit ist naheliegend. Es geht nicht um Likes, es geht um Impact. Ich glaube, die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen sich heutzutage Gehör verschaffen, prägt auch ihre (digitalen) Erwartungen an Journalismus, Politik und Wirtschaft. Sie wollen nichts mehr vorgesetzt bekommen und sie wollen sich nicht widerspruchslos abfinden mit dem, was ihnen gesagt wird. Sie wollen mitreden. Zu einer redaktionellen Gesellschaft gehören Bürgerinnen und Bürger, Kundinnen und Kunden, Wählerinnen und Wähler, die wie RedakteurInnen behandelt werden möchten. Natürlich muss jeder Publisher für sich bestimmte Grenzen ziehen: Über was wollen wir diskutieren, wo zählen Expertise und Autorität mehr als Dialog und welche redaktionellen Hoheiten behalten wir uns vor.
Und doch halte ich es für eine zentrale Aufgabe von Journalismus, Politik und Unternehmen, in ihren bestehenden digitalen Kommunikationsstrategien umzudenken. Wenn wir weitermachen wie bisher, werden die Menschen uns das nicht verzeihen. |
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