Drive-Now-Drama in 117 Minuten
Das Schöne an Freunden ist, dass sie Dich ziemlich gut kennen. All Deine Stärken und Schwächen. Noch schöner ist, dass sie trotzdem Deine Freunde bleiben.
Ich wollte meine drei Freundinnen Rosa, Anna und Paula zur Feier unseres gemeinsamen Urlaubes mit einem Drive Now zum Flughafen fahren. Fünf Tage Meer, nur wir vier. Das Dumme: Ich bin zum Flughafen Tegel gefahren. Obwohl wir zum Flughafen Schönefeld mussten. Ein Drama in 117 Minuten
16.03 Uhr: Wir treffen uns in Berlin-Mitte vor meinem Büro. Etwa eine halbe Stunde bis zum Flughafen, sagt Google Maps, die Gates für unseren Flug schließen um 17.30 Uhr. Alles gut also. Die Mädchen sind schon da, ich gehe los, um den reservierten, vollgetankten BMW eine Straße weiter abzuholen.
16.10 Uhr: Ich finde den verdammten BMW nicht! Ich stehe genau da, wo er parken sollte, aber da ist nichts. Nur eine Tiefgarage. Hat irgendeine Vollnull den 1er in der Tiefgarage…?!?!? Ich rege mich kurz auf, dann schnappe ich mir den Mini von der anderen Straßenseite. Vier Mädchen, acht Taschen. Das wird eng.
16.15 Uhr: Ich kriege den Kofferraum nicht auf. Keine Ahnung, wo das zuständige Knöpfchen ist. „Egal, lass uns mal losfahren“, sagt Paula. „Das kriegen wir schon hin mit den Koffern“. Das Auto ist voller als Keith Richards in den 70ern. Wir fahren los.
16.29 Uhr: Wir stehen im Stau. Mitten in der Stadt. Nichts geht mehr. Rosa wird ein bisschen nervös. „Alles wird gut“, sagt Anna. „Wir sind noch voll in der Zeit.“
16.35 Uhr: Wir stehen immer noch im Stau. Der Mini teilt uns mit, dass er betankt werden möchte. Bald! Sonst könne man ihn nicht mehr abschließen. Tanken geht nur bei Shell oder Total.
16.38 Uhr: Anna, Rosa und Paula googlen hektisch, wo die nächste in Frage kommende Tankstelle ist. Ich gebe ein bisschen Gas, der Verkehr hat sich gelöst.
16.45. Uhr: Ich habe die Funktion „Tankstelle auf der Route suchen“ gefunden.
16.48 Uhr: Ich habe eine Tankstelle gefunden. Frohgemut versichere ich den Mädchen, dass alles gut wird.
16.49 Uhr: Rosa äugt über ihre Reisetasche auf das Navi. „Wieso liegt die denn auf dem Weg Carline?!“ fragt sie mit leichtem Alarmvibrato in der Stimme. „Das ist doch die völlig falsche Richtung?!“ Ich kontrolliere die Route. „Doch doch, das stimmt“, sage ich überzeugt. „Alles wird gut“.
16.50 Uhr: „Carlinchen“, sagt Paula, „Du fährst schon zum Flughafen Schönefeld, ja?“
16.51 Uhr: Ich mache eine Kehrtwende.
16.55 Uhr: Wir stehen wieder im Stau. Die Stimmung ist etwas angespannt.
16.58 Uhr: „Annalein?“, säusle ich mit watteweicher Stimme. Anna scheint mir die richtige Ansprechpartnerin zu sein. Sie ist während des Bürgerkriegs durch Syrien gereist. Sie kann gut mit Krisen. „Annalein, magst du mal beim Autovermieter anrufen und fragen, ob wir mit dem Auto überhaupt zum Flughafen Schönefeld fahren dürfen? Tegel ist ja eine Sonderfunktion.“ Anna starrt mich fassungslos an.
16.59 Uhr: Anna starrt mich immer noch fassungslos an.
17.00 Uhr: Anna telefoniert mit dem Autovermieter. Wir dürfen nicht bis Schönefeld fahren. „Dann tanken wir aber auch nicht!“, sagt Anna entschieden in den Hörer. Der nette Herr vom Carsharing schlägt vor, dass wir nicht tanken müssen, wenn wir das Auto jetzt sofort abstellen.
17.03 Uhr: Mit quietschenden Reifen halte ich auf der nächsten Busspur, die Mädchen purzeln samt Koffern auf die Straße. Ich verriegele den Wagen. Wir rennen Richtung Kreuzung. TAAAXXIIIIII!!!
17.05 Uhr: Paula hat ihre Handtasche im Fußraum vergessen.
17.07 Uhr: Der Mini lässt sich nicht mehr öffnen.
17.08 Uhr: Anna ruft bei dem Autovermieter an.
17.09 Uhr: „JETZT!! SOFORT!! AUFMACHEN!!!“, brüllt Anna in den Hörer.
17.10 Uhr: Wir haben die Handtasche. Wir haben ein Taxi. Der Fahrer riecht etwas nach Schweiß und hat komplett vergoldete Zähne. Ich drücke ihm 50 Euro in die Hand. „Alles für dich, wenn du es in 20 Minuten zum Flughafen schaffst“, schreie ich. Er verzieht keine Miene. „Schaffen wir“, nuschelt er. Und gibt Vollgas.
17.15 Uhr: Ich frage mich, ob unser Fahrer überhaupt die Verkehrsregeln kennt. Er hält sich an keine einzige. Gut für uns. Wir sind kurz vor der Autobahn.
17.20 Uhr: Wir sind auf der Autobahn.
17.21 Uhr: Wir stehen im Stau.
17.22 Uhr: „Kennst du vielleicht einen Witz?, frage ich den Taxifahrer. „Klar, aber nur auf türkisch“, sagt er. Er erzählt den Witz. Auf türkisch. Wir lachen hysterisch.
17.24 Uhr: Paula lacht nicht. Sie funkelt mich durch den Rückspiegel an. „Carline, findest du das etwa lustig?! Wenn du über das hier jemals etwas schreibst, werde ich dich persönlich mit einem abgebrochenen Auspuffrohr erdolchen!“ „Nein, nein“, sage ich. „Mache ich nicht.“
17.25 Uhr: Rosa ruft beim Flughafen an. „Ich weiß, auf dem Ticket steht, dass nicht gewartet werden kann. Aber vielleicht könnten Sie eine Ausnahme machen? Wir sind wirklich FAST da!“
17.28 Uhr: Der Taxifahrer jagt mit Lichthupe über die Standspur. Rosa kichert hysterisch. Ich konzentriere mich darauf, nicht in den Fußraum zu kotzen.
17.30 Uhr: Wir sehen den Flughafen.
17.35 Uhr: Wir rennen Richtung Gate. Anna schreit unablässig „Achtung, Achtung, weg da, NOTFALL!!!!!“ und schwenkt uns mit ihrem Rucksack den Weg frei.
17.37 Uhr: Ich habe meinen Schuh verloren.
17.39 Uhr: Wir schieben unsere Taschen durch die Sicherheitskontrolle.
17.40 Uhr: Die Sicherheitskontrolldame zieht die Augenbrauen hoch. „Frau Mohr, Sie haben ja einen Laptop. Außerdem sehe ich Flüssigkeiten. Das müssen wir nochmal scannen.“
17.41 Uhr: Ich schmeiße der Sicherheitskontrolldame meinen uralten Laptop und die Rossmann-Tüte mit dem Duschgel vor Füße. „DAS KÖNNEN SIE VON MIR AUS ALLES VERFICKTNOCHMAL BEHALTEN!!!!“ brülle ich. Ich bin zu allem bereit.
17.43 Uhr: Paula ist bereits durch und wippt mit ihrem wohl geformten Dekolleté vor dem allerletzten Ticketschalter hin und her. „LAUFT!“ donnert sie uns entgegen. „SCHNELLER!!!“
17.44 Uhr: „Sind wir noch pünktlich?“, japst Anna. Der Ticketmensch schüttelt den Kopf. „Natürlich nicht“, sagt er genüsslich. Ich falle entkräftet vor ihm auf den Boden. „Aber Sie kriegen den Flug noch“, fügt der er hinzu. "Wir haben Verspätung." Anna schleift mich energisch am Kragen hinter sich her.
17.45 Uhr: Wir taumeln ins Flugzeug. Etwa 90 wartende Passagiere starren uns an.
17.48 Uhr: Meine Lunge pfeift wie ein angestochenes Schlauchboot. „Asthma?“, fragt Rosa. Ich nicke matt.
17.50 Uhr: „Asthma?!?“, fragt die Stewardess streng. Inzwischen klinge ich wie Darth Vader mit eitriger Bronchitis. Ich schüttle den Kopf. Ich habe Angst, dass sie mich wieder rausschmeißt. Noch fliegen wir nicht.
17.51 Uhr: Die Stewardess steht immer noch neben meinem Platz und guckt kritisch. Darth Vader hat einen gesünderen Teint als ich gerade.
17.53 Uhr: „Kein Problem“, sagt Anna. „Wir haben ja Asthmaspray dabei.“ Aus ihrer Handtasche zaubert sie ein Fläschen Nasenspray und funkelt mich wütend an. "Tu so, als würdest du inhalieren", knurrt sie.
17.54 Uhr: Ich pumpe demonstrativ Nasentropfen in meine Lunge. Vermutlich werde ich gleich sterben. Die Stewardess lässt uns kopfschüttelnd alleine.
18.00 Uhr: Wir fliegen!!!!!!!!!!!!!!!!!!
18.00 Uhr und 3 Sekunden: Paula ordert eine Runde Sekt.
18.10 Uhr: Rosa grinst mich schief an. „Ein Gutes hat die Sache ja“, sagt sie. Wir müssen uns nie wieder fragen, ob Carlinchen sich diese ganzen Geschichten ausdenkt oder ob sie wirklich passieren.“ „Vielleicht“, fügt Paula hinzu "wird Carline irgendwann eine große Autorin. Und spendiert zu ihrer Romanpremiere ein Taxi.“